Merziger Gastlichkeit traditioneller Art
Ein grauer Novembervorabend, kurz vor 18:00 Uhr. Der unangenehme Nieselregen dieser Jahreszeit perlt an den kleinen Fenstern des Merziger Halfenhauses hinab und lässt in dem gemütlichen und traditionsreichen Merziger Gasthaus eine ganz besondere Atmosphäre entstehen. Kerzen, frischer jahreszeitgemäßer Blumenschmuck und das unverkennbar rustikale aber dennoch zeitlose Interieur verbreiten eine Gemütlichkeit, wie sie Jahr für Jahr viele ausländische Besucher in Deutschland suchen - und doch immer seltener finden.
„Tja, der Mischel verkauft halt kein Bier: der verkauft Wärme, Hoffnung, Entspannung und Glück!", so bringt es ein Stammgast - selbstverständlich im vorherrschenden moselfränkischen Dialekt ausgesprochen - auf den Punkt. Mischel - das ist Michael Schmitt, der 50-jährige Wirt und Inhaber, der seit 10 Jahren das wohl älteste Gasthaus Merzigs führt. Seine rau-herzliche Art, gepaart mit der in über 35 Berufsjahren erworbenen Professionalität, erinnern an eine Mischung aus Kölschem Kööpes und Münchner Bierkellerbetreiber. Es sind eben nicht nur die Streicheleinheiten, die die Gäste von Michael Schmitt im Halfenhaus suchen.
Schmitt reduziert sein Angebot auf das, was die Menschen aus Merzig und den umliegenden Dörfern in den entbehrungsreichen Jahrzehnten in der Region schätzen und lieben gelernt haben. Nicht Vielfalt lautet die Devise - es ist der Wiedererkennungswert, der die Gäste magisch anzieht. Zu wissen, dass dienstags und donnerstags punkt 18:00 Uhr frisch gebratene Frikadellen angeboten werden. Oder, dass Sonntag Abend um Punkt 19:00 Uhr - dass man sogar eine Uhr danach stellen könnte - die Lebensgefährtin Mischels zur Ablösung kommt und er endlich sein Sonntagsbier vor dem Tresen genießen kann.
In seinen Gästen spiegelt sich die wechselvolle Geschichte des Saarlandes wider. Hier treffen sich Selbständige, Arbeiter, Organisten, Bänker, Politiker, Rentner wie junge Menschen, Skatbrüder und Hobbyphilosophen, um zu diskutieren, was die Welt im innersten zusammenhält.
Manchmal ist es auch die Möglichkeit, einfach nichts sagen zu müssen, schweigen zu dürfen. So sitzt eigentlich jeden Tag der eine Gast auf demselben Platz, hängt seine für heutige modische Verhältnisse top-moderne Cord-Jacke stets an den gleichen Haken und trinkt sein Bier, seinen Brand und schweigt. Schätzungen zu Folge kommt er auf ca. 30 Worte im Jahr. „Ja, ja" - eine solche Aussage von ihm hat schon vergleichsweise epische Ausmaße. Was soll er auch sagen? Das erledigen die Anderen für ihn. Man scheint ihn förmlich denken zu „hören": „Es muß ja auch Zuhörer geben." Wie Recht er hat...
Erbaut wurde das Halfenhaus zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Damals floss die Saar als ungebändigter Fluss noch direkt am Halfenhaus vorbei, das quasi als Raststätte für die Flussschiffer fungierte, die dort die Kähne ziehenden Pferde auswechseln und sich selbst erfrischen konnten. Klein und unscheinbar wirkt das Halfenhaus heute zwischen den wesentlich jüngeren Bauten ringsum. Vor allem der 70er Jahre Bau, der heute eine insolvente Kaufhauskettenfiliale beherbergt, lässt das Halfenhaus kleiner erscheinen, als es ist. So wirkt das Halfenhaus fast wie ein Fremdkörper - verbreitet aber gerade deshalb einen Zauber, der viele vorbei kommende Gäste wie Kinder staunen lässt.
Einst waren es die Flussschiffer, die nach ihrem schweren Tagwerk einkehrten. Heute sind es Pendler aus Luxemburg, Menschen, die in der Stadt arbeiten oder zum Einkaufen aus dem Umland kamen. Die Saar fließt schon lange nicht mehr am Halfenhaus vorbei - sie wurde wegen des Westwallbaus schon vor 70 Jahren begradigt und ihr Bett verlegt. Und dennoch legt Schmitt Wert auf die historischen Wurzeln seines Gasthauses. Modelle von Saarbooten, seines Halfenhauses in vergangenen Epochen, eine Photostrecke über die Restaurierung Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts sowie eine Aufzählung der unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten findet der historisch interessierte Gast.
Aber eben auch eine Form der Geselligkeit, die selten geworden ist in einer Zeit, in der nur noch das „Event" zählt, die Exotik und das Einmalige. Wer müde ist von der Suche nach dem „letzten Schrei", der sollte ins Halfenhaus kommen. Und er kann jede Menge Gäste mitbringen. Denn auch wenn es von außen kaum vorstellbar erscheint: In Kneipe und ins historischen Kellergewölbe passen bequem mit Sitzplätzen rund 70 Personen. Zu Faschingsfeiern oder ungezwungenen Firmenpartys wird es mit 100 Gästen jedoch erst so richtig gemütlich.
Weltberühmt sind die Steaks des Hausherrn, die er nur auf Bestellung macht - Qualität ist eben alles - und ein guter Ruf auch schnell zerstört. Backsteingroß genügen die auf den Punkt gebratenen Fleischstücke Ansprüchen, die Gäste von weit her zu ihm führt.
Mischel gelingt es eigentlich immer, aus keinem Anlass ein Fest zu machen. Er, der fleischgewordene Klon der rheinischen Frohnatur saarländischer Prägung, feiert gern - und seine Gäste machen mit. Ob im Juli sein traditionelles Sommerfest oder sein Bierstand (übrigens der einzige) am weltberühmten Merziger Viezfest - er zieht die Massen in seinen Bann.
Es sind eben seine Herzlichkeit, sein gewinnendes Wesen, die authentisch, live und pur sind. „So was gibt's doch gar nicht mehr!"
Das sieht auch der Ortsvorsteher so, der es als einer der wenigen Kommunalpolitiker schafft auch die Menschen hinter sich zu vereinen, die nicht seiner Partei sonst die Stimme schenken würden. Welcher Ortsvorsteher oder Bürgermeister kann schon von sich behaupten, das Ergebnis seiner Partei im Vergleich zu bundesweiten Wahlen persönlich zu verdoppeln? Und Ortsvorsteher werden im Saarland nicht einmal direkt gewählt.... Jedenfalls liebt auch Klein „sein" Halfenhaus. Der passionierte Maler, Weinkenner und seit einigen Jahren auch Hobby-Weinbauer, stellt seine vielen Bilder gerne im Halfenhaus aus. So wird dieses besondere Gasthaus auch für all jene zum Genuss, die neben Geschmack, Geruch, Hören und Fühlen auch optische Eindrücke mit nach Hause nehmen wollen.
An der Eingangstür hängt ein Schild: 9. Heimatstube des Saarlandes. Nach einem Besuch im Halfenhaus will man entgegnen: Nein, das ist das Epizentrum des Saarlandes - hier schlägt das Herz einer ganzen Region.